27. Oktober 2021

Neues aus dem Bilderbuch für Große

Michael Eckert
Kolumnist

Lasst uns heute mal über Wes Anderson sprechen. Der aus dem rebellischen US-Staat Texas stammende Filmemacher hat mittlerweile die 50 locker überschritten, aber mit seinen eigenwilligen Kinosatiren macht er sich nach wie vor völlig unbekümmert über Standards populärer Medien lustig. Mit geradezu lausbübischem Humor zeichnet er bewegte, eindeutig seine Handschrift tragende Gesellschaftskarikaturen.

Der Mix aus Zeichentrick und realen, im Studio bewusst überzeichneten Szenen wächst auf der Leinwand zu einem grell-bunten Bilderbuch für Große zusammen, das gängige Klischees hemmungslos durch den Kakao zieht.

Grand Budapest Hotel

Gern nimmt sich Wes Anderson auch mal die Kulturen des „alten Europa“ zur Brust. „Grand Budapest Hotel“ war eine liebevolle Abrechnung mit den überlieferten Vorstellungen vom Osteuropa aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen; sein neuer Film „The French Dispatch“ liefert eine bunte Abfolge bunter Frankreich-Klischees und sieht über weite Teile aus wie einem „Tim und Struppi“-Comic nachempfunden.

Aber obwohl beide Filme in Europa spielen und sogar hier produziert wurden – genauer gesagt, in den traditionsreichen Babelsberg-Studios – sind sie unverkennbar amerikanisch geprägt und zeigen ein Europa, wie man sich es als Teenager in Texas vorstellen mag. Eine eigene Fantasy-Welt, gespeist aus Kinofilmen, Dokus aus dem Discovery- oder dem History Channel – und eben aus Comics.

Das kommt nicht bei jedem gut an. An Wes Anderson scheiden sich viele Geister. Was seine Fans als erfrischend respektlos loben, erscheint anderen als oberflächlich albern oder geradezu pubertär. Seiner Beliebtheit in der Branche tut das keinen Abbruch.

The French Dispatch

Regie-Gigant Martin Scorsese soll auf seine Filme stehen, und in jedem seiner Projekte bekommt Wes Anderson eine ganze Garde von prominenten Schauspielerinnen und Schauspielern vor die Kamera, die den Spaß bis hinein in die kleinsten Rollen gerne mitmachen. Stars wie Bill Murray, Owen Wilson, Willem Defoe, Adrian Brody, Edward Norton, Anjelica Huston oder Tilda Swinton gehören bereits zum Anderson-Stammpersonal, in „The French Dispatch“ stoßen noch Größen wie Léa Seydoux, Timothée Chalamet, Benicio Del Toro, Elisabeth Moss, Jeffrey Wright oder Christoph Waltz zum Cast.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Wir sehen ein Frankreich aus der Sicht des fiktiven US-Magazins „The French Dispatch“, dessen Chefredakteur (gespielt von Bill Murray) seine Reporter ausschließlich nach subjektiven Kriterien auswählt und dann auf gallische Hotspots wie Küche, Kultur, Krimi oder politische Manifeste ansetzt.

The French Dispatch

So entsteht das hemmungslos subjektive und vielfach gebrochene Kaleidoskop eines Landes, das ausschließlich in der Fantasie existiert. Der Kritiker-Kollege Java D formulierte nach der Filmvorführung so: „Wer Wes Anderson bestellt, kriegt Wes Anderson geliefert.“ Schaut’s Euch an.

Bis zum nächsten Mal

Euer meck